FAS: "Mit 27 wird der Haarschnitt nebensächlich"

FAS: "Mit 27 wird der Haarschnitt nebensächlich"
17.01.2010

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Auf der anderen Seite des Tisches sitzt ein Mann, der gelassener wirkt als früher, gereift, fast geläutert, aber auch ein wenig müde; das Training beim FC Schalke 04 unter Felix Magath ist hart. Nicht mehr allzu viel erinnert an Kevin Kuranyi, den Nutella-Boy, den langhaarigen Lifestyle-Fußballspieler. Das millimetergenau rasierte Bärtchen ist geblieben. Aber sonst? Die Haare sind kürzer geworden und die Worte wohl überlegt. Nicht ein einziges Mal wird Kuranyi, der am Sonntag der Matchwinner seiner Schalker beim Heimsieg gegen Nürnberg war, in der nächsten Stunde „ja gut“ oder so etwas sagen. Und er wird auch nicht ständig "von Spiel zu Spiel“ denken. Nur der Leistungsbegriff wird sich wie ein roter Faden durch das Gespräch ziehen. Die meisten Tore schießt Kuranyi „auf“ Schalke schon seit Jahren, ohne jedoch jemals die Sympathiewerte erreicht zu haben, die in den vergangenen Wochen und Monaten gemessen wurden. 

Was hat sich geändert?
"Das harte Training hat vieles bei mir geändert. Ich bin ein Spieler, der so etwas braucht. Ich bin jetzt, mit 27 Jahren, in einem Alter, wo der Haarschnitt oder solche Dinge nebensächlich geworden sind."

Kuranyi schickt sich an, vom modisch-flippigen ins seriöse Fach des Fußballs zu wechseln. Und er wünscht sich, dass die öffentliche Wahrnehmung allein von seiner "fußballerischen Leistung“ bestimmt werde. Die Medienfigur Kuranyi will sich nicht (mehr) in einer Schublade ablegen oder gar verschließen lassen - schon gar nicht in einer Phase der Karriere, in der gesunde Fußballprofis ihre besten Jahre erleben. Zu dieser Regel passend, sind für Kuranyi gute Zeiten angebrochen. Schalke und die erste Kraft im Sturm sind einander buchstäblich nähergekommen - nach vier Jahren einer Partnerschaft, die emotional mehr von Schatten und von Pfiffen der Fans als von Licht oder Applaus geprägt war. Seit kurzem wohnt der Stürmerstar im Gelsenkirchener Ortsteil Buer, nicht weit entfernt von der Arena, und er fühlt sich wohl. Auch weil die räumliche Nähe den Verein weniger abstrakt erscheinen lässt, als wenn ein Spieler aus dem Außenbezirk zur Arbeit kommt und dreimal die Autobahn wechseln muss, um das Stadion zu erreichen. 

Hat der Umzug dazu beigetragen, die Leistung zu steigern?
"Es hat mir sehr gut getan, in die Nähe des Vereins zu ziehen und dadurch mehr Zeit zu haben. Außerdem bekommt man viel von dem mit, was rund um den Klub geschieht. Ich hätte schon früher umziehen sollen. Und wenn man zusätzliches Training machen will, ist man gleich in der Nähe." 

Sie wollen noch mehr arbeiten?  
"Das Training von Felix Magath würde natürlich vollkommen reichen, aber es gibt immer etwas, was zu verbessern ist. Jeder von uns kann sich immer noch weiterentwickeln." 

Kommt als nächste Veränderung ein Wechsel des Vereins in Betracht? An Offerten, auch aus dem Hochlohnland England, scheint es ja nicht zu mangeln. Und Trainer Magath sagt, er sei sich mit einem Verein schon einig gewesen über einen Transfer.  
"Es wird viel spekuliert. Ich selbst habe mich damit nicht beschäftigt, sondern meinen Beratern gesagt: Ich will jetzt hier nicht weg. Für mich gibt es nur ein Ziel: Mit Schalke Erfolg haben und in der nächsten Saison international spielen."

 Dazu kommt es aller Voraussicht nach nur, wenn Sie erhebliche Gehaltseinbußen akzeptieren. Sind Sie dazu bereit? 
"Dazu nur so viel: Ich möchte das Beste für diesen Verein, man kann über alles reden." 

Ihr Klub dringt nicht gerade auf eine Vertragsverlängerung. Stört Sie das nicht? 
"Der FC Schalke 04 muss vieles ändern und neu aufbauen, deshalb steht die Frage, ob ich bleibe oder gehe, noch nicht im Vordergrund. Das hängt auch von der sportlichen Entwicklung ab. Die Verantwortlichen sagen, sie könnten erst mit mir reden, wenn der Klub gute Chancen habe, international zu spielen, deshalb wäre es zu früh, jetzt darüber zu sprechen." 

Manchen Spielern fällt es schwer, sich zu konzentrieren, wenn der Vertrag ausläuft und die berufliche Zukunft ungewiss ist. Geht es Ihnen auch so?  
"Bei mir ist es ganz anders. Ich mache mir keine Gedanken darüber, das ist kein Problem für mich. Ich weiß, ich muss nur meine beste Leistung bringen, damit andere Klubs denken: ,Der ist interessant' oder Schalke sagt: ,Diesen Spieler brauchen wir weiterhin.' Das ist alles." 

Sie haben diese Gedanken nicht im Hinterkopf, wenn Sie spielen?  
"Ich habe nichts im Hinterkopf." 

Irgendwo im Hinterkopf dieses Ausnahmestürmers spukt aber noch der unrühmliche, selbstgewählte, längst bereute, aber schwer rückgängig zu machende Abschied aus der Nationalmannschaft herum. Vor gut fünfzehn Monaten hatte Kuranyi während des WM-Qualifikationsspiels gegen Russland, das er in Dortmund von der Tribüne aus verfolgen musste, aus Frust die Nationalmannschaft verlassen und einen Bekannten gebeten, in der Nacht das Gepäck aus dem Hotelzimmer zu räumen. Seitdem steht Kuranyi als Fahnenflüchtiger da, zumindest aber als ein unsicherer Kantonist, auf den sich die Fußballnation nicht verlassen könne. Kuranyi hat seinen Fehltritt alsbald bereut, der sich im Medienzeitalter binnen weniger Stunden zu einem kapitalen Fehlschlag ausgewachsen hat. Bei Bundestrainer Joachim Löw gilt der 52-malige Nationalstürmer als Persona non grata - unbefristet, offenbar ohne die Aussicht, begnadigt zu werden. Das Angebot an Klassestürmern (Gomez, Klose, Podolski, Kießling, Cacau, Helmes) scheint zu groß, als dass Löw sich davon abbringen ließe, ein öffentlichkeitswirksames Exempel zu statuieren, bei dem sich das sportliche Risiko in Grenzen hält. 

Im Fall Kuranyi gilt weiter die harte Tour - aus Prinzip. Löw sagt, solange er Bundestrainer sei, werde Kuranyi nicht zurückkehren, es gebe keinen Grund, von dieser Linie abzuweichen. Angesichts dieser Aussagen erinnert Kuranyis Lage, im übertragenen Sinne, an die Situation eines Straftäters, der sich trotz guter Führung derzeit keine Chancen auf eine vorzeitige Entlassung oder eine Begnadigung ausrechnen kann, weil das Delikt als zu schwerwiegend eingestuft wird. Unabhängig davon, ob diese Wertung noch zeitgemäß ist. 

Was machen Sie während der Fußball-Weltmeisterschaft?
"Ich wünschte mir, zur Nationalmannschaft zu gehören, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir." 

Glauben Sie, dass die Entscheidung darüber schon gefallen ist? 
"Ich hoffe nicht. Ich kann nur Leistung bringen, erfolgreich spielen und abwarten, was passiert." 

Wie ist Ihr Verhältnis zu Joachim Löw?  
"Persönlich haben wir kein Problem. Ich weiß, dass es falsch war, die Mannschaft während des Russland-Spiels zu verlassen, dafür habe ich mich entschuldigt." 

In Schalke sind Sie inzwischen ein Liebling der Fans. 
"Das hat mich sehr überrascht und mir sehr gut getan, dass ich nach vier Jahren das Gefühl bekommen habe, von dem ich geträumt, für das ich gearbeitet habe. Ich musste auch vieles einstecken, um das erreichen zu können. Ich spiele seit viereinhalb Jahren auf Schalke. Was ich hier erlebt habe, was Schalke mir gegeben hat, ist schwer zu toppen." 

Trotz der vier teils heiklen Jahre? 
"Ja. In solchen Phasen sieht man mehr und lernt sehr viel." 

Nur selten öffnet Kuranyi das Fenster zu seinem Inneren so weit wie in diesem Augenblick. Die Presseabteilung des Klubs überwacht das Gespräch, diskret, aber doch aufmerksam, wie es inzwischen üblich ist bei solchen Gelegenheiten, bei denen nicht ganz klar ist, wem der Verein mehr misstraut: dem Spieler oder dem Reporter. Und auch ein Medienberater Kuranyis sitzt, noch diskreter, mit am Tisch. 

Inzwischen ist Kevin Kuranyi ein kleines Fußball-Unternehmen mit mehreren Mitarbeitern. "Das ist doch gut, so werden immer wieder neue Arbeitsplätze geschaffen. Im Ernst: Ganz so viele sind es nicht. Und ich glaube, dass es heutzutage wichtig ist, als Fußballer in allen Bereichen professionell zu arbeiten. Das versuche ich." 


Aus der Nutella-Liga in der Werbung sind Sie, bei aller Professionalität, abgestiegen. Mögen Sie die süße braune Masse trotzdem noch?

"Ja. Ich habe sehr lange viel Nutella gegessen und esse es immer noch ganz gern, aber nur noch ein bisschen, sonst müsste ich ja noch mehr trainieren. Meine Vorräte reichen ungefähr für die nächsten zehn Jahre."