Spiegel online: Diplomat in Königsblau

Spiegel online: Diplomat in Königsblau
12.03.2010

Spiegel online 

Kevin Kuranyi galt lange Zeit als Chancentod. Dabei gehört er zu den besten Torjägern der Liga. Nur Bundestrainer Löw will davon nichts wissen - obwohl er ihn bei der WM gut brauchen könnte.

 Wer Kevin Kuranyi nach Pflichtspielen des FC Schalke 04 im Bereich des Stadions begegnet, wo sich Spieler und Journalisten austauschen, trifft einen Diplomaten in Königsblau. Es ist eine augenfällige Wandlung: weg vom ewigen Teenager mit gegelten Haaren und gestutztem Bärtchen, der Reklame für Schokocreme macht, hin zum erwachsenen Sportler mit geschärftem Profil. Kuranyi bleibt stehen, schaut seinem Gegenüber ins Gesicht und nimmt sich Zeit für die Antworten. Auch wenn die nicht immer in vollem Umfang der Wahrheitsfindung dienen. 

Gegenwärtig wird Kuranyi ständig gefragt, was die Zeit bringt, wenn Ende Juni sein Vertrag beim FC Schalke ausgelaufen ist. Dann entgegnet der Stürmer Sätze wie: "Entschieden ist noch nichts." Oder: "Schalke ist eine Herzensangelegenheit." Und: "Mein erster Ansprechpartner heißt Felix Magath."

Die Aussagekraft solcher Statements tendiert gegen Null, die Folge sind immer neue Gerüchte, die Tag für Tag durch Gelsenkirchen wabern: Juventus Turin habe reges Interesse, die Gespräche von Juve-Manager Alessio Secco und Kuranyis Berater Roger Wittmann seien im fortgeschrittenen Stadium. Als weitere potentielle Arbeitgeber werden AS Rom, SSC Neapel, Manchester City und der FC Sunderland genannt. Zudem - so hieß es unlängst - sei ein ominöser russischer Club aufgetaucht, der Kuranyi ein märchenhaftes Jahresgehalt von 5,5 Millionen Euro netto bieten soll. 

Nie ist auf Schalke so viel über Kevin Kuranyi gesprochen worden, ohne dass es dabei geringschätzige oder hämische Seitenhiebe gab. In seinem fünften Jahr beim Revierclub genießt der 28-Jährige die Wertschätzung, um die er lange vergeblich gerungen hat. Lange war Kuranyi der Prellbock für die blau-weißen Fans, die alles auf diese eine Person projizierten: ihren ganzen Frust aus mehr als 50 vergeblichen Anläufen, die Meisterschale endlich wieder nach Gelsenkirchen zu holen. Kuranyi, der Jahr für Jahr die meisten Tore schoss, wurde darauf reduziert, dass ihm selbst einfachste Bälle vom Fuß sprangen - und er die Kugel aus drei Metern über den Querbalken drosch. Der Imagewandel vom Chancentod zum Heilsbringer hat Kuranyi aufblühen lassen.

Dem Magazin "11FREUNDE" gewährte er Einblicke in sein Seelenleben: "Manche Leute picken sich nun mal einen Sündenbock raus und behalten ihn dann bei. Es gab Tage, da habe ich gedacht: Warum bloß ich?" Nun gibt es Tage, an denen Kuranyi denkt: "Wie schön, dass das vorbei ist." Statt Pfiffe und Pöbeleien hört er nun aufmunternde Sprechchöre, die späte Aufwertung ist dem Stürmer im Gesicht und an der Körperhaltung abzulesen. Zuletzt wurde der Mann, der in Brasilien geboren wurde und in Panama aufwuchs, sogar von der Schalker Ikone Olaf Thon geadelt: "Was Kevin Kuranyi zurzeit spielt, ist weltklasse." 

Nie war er für Schalke so wertvoll wie in dieser Saison, und doch äußert sich Felix Magath betont zurückhaltend, wenn er auf Kevin Kuranyi angesprochen wird. Wohl wissend, dass sein effektivster Stürmer mit einem kolportierten Jahresgehalt von 3,7 Millionen Euro zu den Spitzenverdienern des hoch verschuldeten Traditionsvereins gehört. Wenn es um Kuranyi geht, schlüpft Magath aus der Position des Trainers in die des Managers. Nach dem Pokalsieg in Osnabrück, bei dem Kuranyi das Tor des Tages erzielte, fragte ein Journalist, ob es jetzt nicht an der Zeit sei, auf eine Vertragsverlängerung hinzuarbeiten, Darauf Magath schnippisch: "Machen Sie es doch, wenn Sie sich das leisten können." Und: "Wenn ich hier jedem einen Vertrag geben würde, nur weil er mal ein Tor für uns schießt, hätte ich einen noch größeren Kader." 

Was Magath sagen will: Du kannst gern bleiben, aber bitte zu einem moderaten Preis. In Magaths Diktion klingt das so: "Ich kann niemanden binden, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn halten kann. Von daher bin ich nicht traurig, wenn sich etwas anderes ergeben sollte." Dabei trägt auf Schalke vor allem Kuranyi die Hoffnung, die ewig meisterlose Zeit möge ein Ende haben. So lange der Titel fehlt, ist auch Kuranyis Karriere eine unvollendete. Das gleiche gilt für seine Laufbahn in der Nationalmannschaft, die am 11. Oktober 2008 abrupt endete, weil der Stürmer während des WM-Qualifikationsspiels gegen Russland das Dortmunder Stadion aus Frust über seine Nichtberücksichtigung eigenmächtig verließ. Die Folge: Joachim Löw sortierte ihn aus der Nationalelf aus. Längst hat Kuranyi diese Eselei bedauert und Abbitte geleistet. Genutzt hat es nichts. Das Urteil, so bekräftigt der Bundestrainer immer wieder, sei endgültig. Indem Löw die Tür auf Dauer zugeschlagen hat, beraubt er sich für die WM in Südafrika jedoch leichtfertig einer Offensivoption. 

Warum sich der Bundestrainer so verhält, bleibt unergründlich. Sei es, um am Schalker Stürmer ein Exempel zu statuieren, sei es, weil es seinerzeit so aussah, als sei Kuranyi eine leicht verzichtbare Größe. Der Ist-Zustand offenbart ein anderes Bild: Die gesetzten Protagonisten im Angriff, Lukas Podolski, Miroslav Klose und Mario Gomez, haben in der laufenden Saison zusammen nicht öfter getroffen als der Verbannte allein. Am Freitag (20.30 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) hat er gegen seinen früheren Club VfB Stuttgart die Chance, seine Trefferquote weiter zu erhöhen. 13 Tore sind Kevin Kuranyi bislang geglückt, die Statistik verbucht ihn damit bereits in der achten Spielzeit in Folge im zweistelligen Bereich. Auf eine solche Quote können sonst nur Stürmer-Koryphäen wie Gerd Müller und Manfred Burgsmüller verweisen. 

Doch was nutzt das alles, wenn der Bundestrainer in seiner unversöhnlichen Haltung verharrt? Zumindest in Clemens Tönnies weiß Kuranyi einen engagierten Anwalt an seiner Seite: "Kevin ist nicht nur ein guter Fußballer, sondern auch ein guter Junge", betont Schalkes Aufsichtsratschef mit Nachdruck: "Er hätte durchaus eine zweite Chance verdient."