Der Spiegel: Drei Tore für Iwan

Der Spiegel: Drei Tore für Iwan
10.09.2010

Der Spiegel

Er wollte sich von Russland aus wieder bei Bundestrainer Löw in Erinnerung bringen. Und für die Fans von Dynamo Moskau ist Kevin Kuranyi der große Hoffnungsträger. Aber der Torjäger aus Deutschland hat wieder einmal Pech: Sein neuer Club dümpelt nur im Mittelfeld.

Kevin Kuranyi, schwarze Hose, schwarzer Kapuzenpulli, lässt sich auf das schwere Ledersofa in der Geschäftsstelle von Dynamo Moskau fallen. "Kak dela", fragt er auf russisch, "wie geht's?"

Kuranyi spielt seit ein paar Wochen in der russischen Hauptstadt. Er hat ein Haus nur einen Steinwurf vom Trainingsgelände in Nowogorsk entfernt gefunden, dreimal in der Woche nimmt er Sprachunterricht. Er hat die Waldbrände überstanden und die Weltmeisterschaft in Südafrika, die er wieder nur am Fernsehen verfolgen durfte. Radio Hamburg strahlte damals eine Comedy-Serie namens "Kevin allein zu Haus" aus.

Vor zwei Jahren hat Kuranyi seine Nationalmannschaftskarriere ruiniert, weil er während des WM-Qualifikationsspiels gegen Russland von der Tribüne des Dortmunder Wesfalenstadions türmte. Er hofft jetzt auf eine zweite Chance, nach seinem Neuanfang im Osten. In einer erstarkenden Liga, aber bei einem desolaten Team.

Kuranyi hat sich eingelebt in der russischen Hauptstadt. "Moskau", sagt er, "Moskau ist mega." Am schönsten sei der Rote Platz am Kreml. 

Das Trainingsgelände von Dynamo Moskau umgibt eine Mauer: drei Meter hoch, grauer Granit. Auch 25 Jahre nach Beginn von Michail Gorbatschows Perestroika sind Transparenz und Offenheit dem Club nicht ganz geheuer. Der Verein wurde 1923 von Männern der sowjetischen Staatssicherheit NKWD gegründet, dem späteren KGB.

 "Wir haben immer Angst, dass wir verlieren" 

Security-Männer mit Schnauzer wachen darüber, dass kein Fan, kein Journalist das Dynamo-Training beobachtet. Es läuft nicht gut beim elfmaligen Meister: Platz zehn nach 19 Spieltagen, zuletzt verlor Dynamo in Sibirien 0:1 gegen Tom Tomsk.

"Wenn wir hinausgehen", sagt Verteidiger Igor Semschow, russischer Nationalspieler, "haben wir immer Angst, dass wir verlieren und wieder kein Tor schießen."

Das Team ist eine permanente Baustelle. 70 Spieler hat Dynamo in den vergangenen sechs Jahren geholt. Nach dem Champions-League-Gewinn des FC Porto 2004 verpflichtete der Club, der heute der Staatsbank VTB gehört, ein knappes Dutzend mäßig begabter Kicker aus Portugal. 20 Millionen Euro kostete allein Mittelfeldmann Maniche. Er machte 13 Ligapartien, nach einem Jahr zog er weiter.

Landsmann Danny sorgte mit einer Spuckattacke gegen einen Referee für einen Skandal, setzte aber auch auf dem Spielfeld Glanzlichter. 2007 schoss der beste Spielmacher der russischen Liga das "Tor des Jahres". 2008 ging er für 30 Millionen Euro zu Zenit, dem von Gazprom gesponserten Club aus St. Petersburg.

"Dynamo", dichtete einst der 1936 gestorbene Sowjetschriftsteller Maxim Gorki, "das ist Kraft in Bewegung."

 Gespielt wird vor den Toren Moskaus 

Heute dagegen ist Dynamo der schlechteste der vier Hauptstadtclubs. Seit die Dynamo-Arena in Zentrumsnähe umgebaut wird, hat der Verein nicht einmal mehr ein eigenes Stadion. Gespielt wird vor den Toren Moskaus in der Trabantensiedlung Chimki, berüchtigt für seine grauen Plattenbauten. Elfmal war Dynamo Meister, doch der letzte Titel liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Nur 6000 Zuschauer kommen im Schnitt noch zu den Spielen.

"Es fehlen Siegeswille und Kampfgeist", sagt Aleksej Sidorow, 26, Fan seit zwei Jahrzehnten. "Nur dem Deutschen kann man keinen Vorwurf machen. Der kämpft wenigstens."

Kuranyi schreibt ein Autogramm: "Für Iwan - K. K. - 22." Er musste nur viermal mit dieser Rückennummer für Dynamo auflaufen, um zum Hoffnungsträger zu werden. Die drei Treffer, die er erzielte, waren nicht besonders schön herausgespielt, aber es waren Kämpfertore. "Ich gehe als Führungsspieler voran", sagt Kuranyi.

"Kevin ist in kurzer Zeit einer von uns geworden", lobt Verteidiger Semschow. "Das ist ein großer Transfer, er ist die wichtigste Figur der Liga." "Wenn er früher gekommen wäre", sagt Trainer Miodrag Bozovic, "dann ständen wir heute woanders in der Tabelle. Und wenn er später gekommen wäre, dann wäre ich heute nicht mehr Trainer."

 114 Millionen Euro haben die 16 Mannschaften in neue Spieler investiert 

Kuranyi will diese Saison noch Platz fünf erreichen und damit die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb. Die Konkurrenz ist stark. Russlands Premier-Liga hat Geld und internationale Ambitionen. Zenit St. Petersburg, Uefa-Cup-Sieger 2008, dominiert die Liga derzeit nach Belieben, gefolgt von Rubin Kasan aus Tartarstan, Meister der beiden vergangenen Jahre und vor einem Jahr in der Champions League Bezwinger des FC Barcelona.

114 Millionen Euro haben die 16 Mannschaften in neue Spieler investiert. Aus Porto kam Portugals Nationalspieler Bruno Alves, aus der Bundesliga Spieler wie der ehemalige Hoffenheimer Carlos Eduardo oder Wolfsburgs ehemaliger Stürmer Obafemi Martins.

Freilich müssen Russlands Vereine stets einige Millionen draufzahlen, um überhaupt internationale Stars anzulocken. Kuranyi bekommt 18 Millionen Euro für drei Jahre, inklusive "Schmerzensgeld und Gefahrenzuschlag", spottete die "Bild"-Zeitung nach dem Wechsel.

"Quatsch", sagt Kuranyi. "Kein Kulturschock. Ich bin ja multikulturell." Nächstes Jahr will er mit Dynamo Zenit angreifen. Er sei "nach Moskau gekommen, um mit dieser Mannschaft Meister" zu werden. "Ich kann mir sogar vorstellen, meine Karriere in Russland zu beenden."

Auch sein alter Club Schalke 04 befindet sich im Umbruch. Dort hieß es immer, Trainer Felix Magath hätte Kuranyi gerne gehalten und nur aus finanziellen Gründen ziehen lassen. Für die Verpflichtung von Huntelaar und Jurado fanden sich nun gleichwohl doch noch ein paar Millionen.

"Die Zeit auf Schalke war wunderschön, aber das Kapitel ist beendet", sagt der Stürmer. Und das Nationalteam?

Kuranyi seufzt. Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat. "Vieles würde ich heute anders machen. Die Rückkehr bleibt immer mein Ziel." Er wolle "nicht viel reden, sondern durch Leistung überzeugen und durch Tore." Aber er weiß auch, dass Joachim Löw in der kommenden Saison wohl kaum in ein Flugzeug klettern wird, um sich beispielsweise Dynamos Auswärtsspiel in Grosny anzuschauen, der Hauptstadt Tschetscheniens.

"Die Hoffnung", sagt Kuranyi, "stirbt zuletzt."