FAZ.net: Kuranyi flüchtet vorm russischen Winter

FAZ.net: Kuranyi flüchtet vorm russischen Winter
01.06.2015

FAZ.net

 

Nach fünf Jahren bei Dynamo Moskau plant der frühere deutsche Nationalstürmer seinen Abgang. Der 33-Jährige will zurück in die Bundesliga. Ein Abschiedsgespräch über neue Freunde und brennende Korane.

Wehmut am Saisonende der Premjer-Liga, in der der russische Fußballmeister schon länger feststeht: Zenit Sankt Petersburg. Schon länger fest steht auch, dass Kevin Kuranyi Russland verlässt. "Es war eine phantastische Zeit", sagte der 33 Jahre alte ehemalige deutsche Nationalspieler nach seinem letzten Spiel, in dem er beim 1:1 gegen FK Krasnodar Kapitän gewesen ist. "Danke - und hoffentlich bis bald." Nach fünf Jahren bei Dynamo Moskau, einem der vier Moskauer Fußballvereine in der ersten Liga, kehrt Kuranyi Russland den Rücken. Es wirkt nicht so, als betrübte ihn das.

Überhaupt wirkt der 33 Jahre alte Mittelstürmer, der immer noch Kinnbart trägt, beim Gespräch auf dem Dynamo-Trainingsgelände nordwestlich von Moskau heiter, ausgeglichen, entspannt. Kuranyi sagt, es sei eine gute Entscheidung gewesen, vor fünf Jahren herzukommen. Seinerzeit hatte der Klub, der elfmal sowjetischer Meister wurde, große Pläne. Titel indes blieben auch mit Kuranyi aus: Dynamo wurde in der Liga dreimal Vierter, einmal Siebter, spielte nur in der Europa League. Auch in diesem Jahr ist es wieder Rang vier geworden. Kuranyi sagt aber, er sei stolz darauf, Freunde in Moskau gefunden, Russisch gelernt und "eine neue Mentalität" erfahren zu haben: Die Russen erschienen erst einmal verschlossen, was sich aber ändere, wenn man sie näher kennenlerne. "Dann bist du einer von denen." Der Stürmer und seine Familie wohnen ganz in der Nähe des Trainingsgeländes. Da hätten sie alles, sagt er. Doch sein Lieblingsort in Moskau sei der Rote Platz, sommers wie winters.

 

DFB-Skandal verfolgt Kuranyi

 

Womit man beim Kreml wäre. Dynamo-Präsident Boris Rotenberg gilt als einer der engsten Vertrauten von Präsident Wladimir Putin. Sie kennen einander aus gemeinsamen Leningrader Jugendjahren. Es heißt, Rotenberg habe Kuranyi halten wollen. Der sei nicht nur ein guter Spieler, sondern schaffe auch "ein gutes Mikroklima", sagte der Klubpräsident vor kurzem. Auch das freut Kuranyi, der sagt, er schätze Rotenberg sehr.

Über politische Fragen - die Verschlechterung der politischen Lage, Ukraine, Krise, Krieg - sagt Kuranyi: "Man mischt sich da als Sportler nicht ein." Mangels Erfahrung und weil es in der Politik "schwierig" sei. Auch in der Mannschaft werde das Thema bewusst außen vor gelassen, "damit keine Konflikte entstehen". In Dynamo Moskaus Abwehr spielt auch Boris Borissowitsch Rotenberg, der Sohn des Präsidenten.

Auch dessen Wertschätzung kann Kuranyi freilich nicht in Moskau halten. Russische Sportjournalisten führen das auf eine Gehaltsdeckelung von zwei Millionen Euro im Jahr zurück, bisher sei es für den deutschen Stürmer das Dreifache gewesen. Die Krise hat auch den Klub und seinen Sponsor erreicht, die Bank VTB. Man muss sparen. Das konzediert Kuranyi, erklärt aber das Ende bei Dynamo mit dem "langen, nicht einfachen Winter" in Russland. Vor allem für seine Familie.

Wohin es nun gehen soll, ist noch unklar. "Vielleicht wird es ein warmes Land, vielleicht gehe ich nach Hause, nach Deutschland." Am vergangenen Wochenende drückte Kuranyi dem VfB Stuttgart die Daumen im Kampf um den Klassenverbleib. Bei dem Verein spielte er von 1997 - nach Jugendstationen in seinem Geburtsland Brasilien und in Panama - bis 2005. Es folgten fünf Jahre bei Schalke 04. In diese Zeit fiel die Verbannung aus der Nationalmannschaft, nachdem sich Kuranyi, der nicht aufgestellt worden war, unerlaubt von der Tribüne entfernt hatte, als die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw gegen Russland antrat. Das war vor bald sieben Jahren. Der Vorfall hängt Kuranyi bis heute nach, obwohl er sich mehrmals dafür entschuldigt hat.

 

Russlands Fußball hat Nachholbedarf

 

Nun betreibt Russland einen großen Aufwand, um die Weltmeisterschaft 2018 auszurichten. Man baut - und baut vor. Als am Mittwoch die Festnahmen von Fifa-Funktionären in Zürich bekannt wurden, beeilten sich die Verantwortlichen in Moskau zu versichern, der Vorgang habe bestimmt nichts mit der Vergabe nach Russland zu tun. Besonders bissig reagieren sie auf regelmäßige Vorstöße, dem Land die WM wieder abzunehmen. Gerade hat der russische Rechnungshof Geldverschwendung und Verstöße bei der Planung des Turniers festgestellt. Das Phänomen ist von anderen Großprojekten in Russland bekannt. An den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 verdiente unter anderen Putin-Freunden Arkadij Rotenberg, der Bruder des Dynamo-Präsidenten, viele Milliarden Euro.

Beim Fußball kommt als Problem noch der Rassismus hinzu. Hakenkreuzfahnen werden in Stadien geschwenkt, Korane verbrannt. Kuranyis kongolesischer Teamkamerad Christopher Samba wurde für zwei Spiele gesperrt, weil er auf rassistische Schmähungen reagierte, indem er den Mittelfinger zeigte. Kuranyi sagt dazu, es sei natürlich nicht schön, das mitzuerleben. "Ich denke, dass wir und die Liga viel dafür tun, dass es nicht passiert." Aber auch die Fans müssten härter durchgreifen, sagt er.

Ein weiterer Minuspunkt im russischen Fußball ist zudem, dass die Stadien im Schnitt nicht einmal halb voll sind. Eishockey sei nun einmal der beliebteste Sport in Russland, sagt Kuranyi. Die Werbung für den Fußball, Komfort und Sicherheit in den Stadien müssten weiter verbessert werden. "In Deutschland ist ein Fußballspiel am Wochenende ein Erlebnis auch für die Familie. So muss es hier auch werden."